Exklusiv auf der Museumsinsel: Alter Horror neu interpretiert
News vom 19.08.2016
Die UFA Filmnächte holen Stummfilm-Klassiker auf die Museumsinsel. Doch wie weckt man heute Emotionen mit altem Zelluloid? Die Antwort verrät Schauspieler und Musiker Jonas Nay

Jonas Nay sieht man eigentlich eher vor der Kamera. Im Drama „Homevideo“ spielte er ein Mobbingopfer und erhielt dafür den Grimme-Preis. In der Serie „Deutschland '83“ mimte zuletzt einen DDR-Spion im Kalten Krieg. Am 25. August 2016 schlüpft Nay aber in eine ungewohnte Rolle. Denn dann spielt er auf Berlins Museumsinsel mit seiner Band Northern Lights die Musik zu einem Pionier des Gruselfilms ein – Richard Oswalds „Unheimliche Geschichten“ von 1919.
Jonas Nay, Sie sind nicht nur Schauspieler, sondern haben auch Filmkomposition studiert. Nun wagen Sie sich an einen Stummfilm. Ist das eine neue Erfahrung für Sie?
Auf jeden Fall! Ich glaube, unser Auftritt ist aber auch ein Experiment für die UFA Filmnächte. Zwar gab es in den letzten Jahren immer wieder unterschiedliche Ensembles, aber eine Jazz-Band-Besetzung ist ziemlich untypisch für den Stummfilm. „Unheimliche Geschichten“ ist 1919 entstanden. Das waren die ersten Gehversuche in Sachen Horrorfilm. Für die Musik liegt die Herausforderung darin, den Gruselfaktor aus den alten Bildern herauszuholen und das moderne Publikum zu bannen.
Im Film erzählen sich der Tod, der Teufel und eine Dirne Schauergeschichten. Wie oft mussten Sie den Film anschauen, um ihn vertonen zu können und gruselt man sich als Musiker dann überhaupt noch?
Man gruselt sich ganz schön, ehrlich gesagt. Vielleicht liegt das an den markanten schwarz-weiß-Bildern und auch am sehr theatralischen Spiel der Darsteller. Sie haben damals unter der Prämisse gespielt, dass die Handlung immer glasklar sein muss – egal in welchem Zustand der Projektor ist oder wie schlecht die Vorspielhallen ausgestattet sind. Dadurch wirken die Gesten teils so skurril, dass man sich heute schon wieder gruselt – auch wenn das so wahrscheinlich damals nicht gewollt war. Es ist eine ganz eigene ästhetische Welt.
Wir haben den Film gefühlte hunderttausend Mal gesehen. Er besteht aus fünf Teilen, die fünf Kurzgeschichten entsprechen. Jeder von uns vier Band-Mitgliedern hat deshalb je eine Episode komponiert. Die letzte haben wir gemeinsam bearbeitet. So sind fünf ungleiche Klangwelten entstanden. Meine Episode kenne ich inzwischen auswendig und jetzt – in der letzten Probephase – müssen wir den Film gar nicht mehr mitlaufen lassen, um zu wissen, was als nächstes passiert. Wir haben 90 Minuten Musik produziert, die eins zu eins auf jeden Frame abgestimmt sind.
Das heißt, es bleibt kein Platz für Improvisation?
Doch, aber in einem engen Rahmen. Die Begleitung ist durchgeplant. Der Solist improvisiert aber frei darüber, wenn auch synchron mit dem Film. Diese Aufführung ist an für sich schon anders, weil man auch die Musiker sieht. Das konnte man in der Stummfilm-Ära nur, wenn man sich umdrehte und den Pianisten im Hintergrund anschaute. Es war Begleitmusik. Wir haben uns gedacht, wir unterstützen den Film auf andere Weise – nämlich mit Elementen, wie man es aus der heutigen Filmmusik kennt. Beim UFA-Konzept wird man zudem auf der Museumsinsel links die Band sehen und rechts die Leinwand. Dadurch entsteht ein neues Gesamtkunstwerk.
Konnten Sie schon im Kolonnadenhof proben?
Die Wirkung vor Ort können wir erst am 25. August in der Generalprobe testen. Es bleibt also spannend. Die Museumsinsel gibt atmosphärisch enorm viel her. Letztes Jahr habe ich bereits eine andere Aufführung mit großem Orchester auf der Insel angeschaut. Open-Air-Kino, mit toller Musik und restauriertem Filmmaterial aus den 1920ern, umgeben vom beleuchteten Kolonnadenhof – das hat mich völlig weggerissen. Deshalb freue ich mich tierisch darauf, selbst dort zu spielen.
Stummfilme und Museumsinsel passen für Sie also zusammen?
Ja, na klar. Auch der Stummfilm ist ein Zeitzeugnis und eine Kunstform. Die Filmnächte sind also in gewisser Weise wie eine Ausstellung mit moderner Kunst. Ich halte es für genau die richtige Entscheidung, dass man sie auf der Museumsinsel stattfinden lässt.
Das Gespräch führte Silvia Faulstich.
Mit den UFA-Filmnächten ehren Bertelsmann und die UFA die einstige Avantgarde der Filmkunst. Neben „Unheimliche Geschichten“ am 25. August 2016 sind Ernst Lubitschs „Die Bergkatze“ (24. August) sowie der neu restaurierte „Der müde Tod“ (26. August) zu sehen – ein frühes Meisterwerk Fritz Langs. Die Sommer-Aufführungen mit Live-Orchester und Großleinwand sind seit 2014 zu Gast im Kolonnadenhof der Museumsinsel.