Himmlische Heerscharen
20.11.2018Himmlische Heerscharen
Julien Chapuis, Leiter der Skulpturensammlung, stellt vor: „Drei Engel mit dem Christuskind“
Kurz erklärt: Die mittelalterliche Engel-Gruppe mit Christuskind aus dem Bode-Museum
Julien Chapuis, Leiter der Skulpturensammlung stellt "Drei Engel mit dem Christuskind" vor. Die Skulptur stammt aus der 1936 von den Nationalsozialisten gepfändeten Kunstsammlung des Ehepaars Ernst und Agathe Saulmann. 2017 wurde sie an die Erben der Saulmanns restituiert und anschließen wiedererworben.
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Transkript
Was wir vor uns haben, ist die Darstellung einer Vision. Wir haben drei Engel, die das Christuskind in einem Tuch hochhalten. Es ist eine Vision, weil sie eigentlich auf einem Wolkenrand stehen und die unteren Teile der Figur überhaupt nicht dargestellt sind. Das ist ein Objekt, das für die private Andacht gemacht wurde, es war eine Hilfe bei Gebeten, bei Meditationen. Im Mittelalter betete man oft, dass man das Christuskind sehen könnte, sehen dürfte. Und es gibt verschiedene Gebete, wo Maria darum gebeten wird, das Christuskind einem zu zeigen und anfassen zu lassen. Und wir wissen auch, dass das Christuskind als Kind Gottes, der von Engeln gelobt wird, eigentlich die unglaubliche Demut gezeigt hat, dass er sich in der Welt als weinendes Kind dargestellt hat. Aber erstaunlicherweise ist im Mittelalter das Ideal eine bildlose Kontemplation, Verehrung. Man denkt an Jesus, der Thomas sagt: "Selig diejenigen, die glauben, ohne sehen zu müssen." Aber das Sehen wird immer wieder betont. In der Darbringung im Tempel sagt der alte Priester Simeon "Gott, lass deinen Knecht in Frieden gehen, denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du für alle Völker bereitet hast." Also es ist, wenn Sie wollen, ein Paradox zwischen Sicht, Vision und bildlose Verehrung. Man muss wissen, dieses Werk war ursprünglich bunt bemalt und vergoldet und wurde wahrscheinlich berührt und geküsst und war wirklich für die Andacht einer einzelnen Person geschaffen.
© SPK / Jonas Dehn
Die aus Lindenholz gefertigte Engelsgruppe aus dem 15. Jahrhundert, die sich heute im Bode-Museum der Staatlichen Museen zu Berlin befindet, stammt aus der 1936 durch die Nationalsozialisten gepfändeten Kunstsammlung des Ehepaars Ernst und Agathe Saulmann. 2017 wurde sie an die Erben der Saulmanns restituiert und anschließend wieder erworben. Entstanden ist das kleine Relief vermutlich in den Jahren zwischen 1430 und 1440 im Umfeld des Ulmer Künstlers Hans Multscher. Besonders der französische Stil der Arbeit mit seinen eigentümlichen Gesichts- und Stoffdarstellungen deutet auf eine solche Herkunft hin. Multscher, ein um das Jahr 1400 in Reichenhofen geborener Maler und Bildhauer, der wahrscheinlich um 1420 eine Ausbildung am französischen Hof erhalten hatte, gilt als Schlüsselfigur bei der Überführung des damals angesagten Pariser Stils in die deutsche Kunst. Und so enthält auch dieses Relief eindeutig Pariser Stilelemente: Der reichhaltige Lockenschmuck etwa oder die kindlichen Physiognomien der Engel waren in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ungewöhnlich für hiesige Sakralskulpturen. Anzunehmen ist, dass das Relief als Hilfestellung bei der Meditation und der Anbetung Gottes gedient hat.

Ursprünglich war das Relief bemalt. Wahrscheinlich waren die Flügel der Engel in leuchtenden Farben gehalten, während die angedeuteten Wolken unter dem Tuch des Christuskindes in Blau und Weiß bemalt waren. In seiner einstigen Farbigkeit muss das Relief auf den Betrachter einen immensen Eindruck gemacht haben.
Die Anordnung der Flügel in einem angedeuteten Bogen an der Oberkante des Reliefs folgt in etwa dem gleichen Kurvenverlauf wie das Tuch und die darunter befindlichen Wolkendarstellungen. Letztere verorten die Szenerie mit den beinlosen Engeln in eine himmlische Sphäre. In der mittelalterlichen Skulptur ist dies eine wiederkehrende Darstellungsform.