Recht auf Rückgabe?
20.11.2018Recht auf Rückgabe?
Geschätzt 600 000 Kunstwerke wurden einst von den Nazis geraubt. Eine Bilanz der bisherigen Restitutionen
Zwanzig Jahre ist es her, dass in Washington die internationale Konferenz über Holocaust- Vermögenswerte stattfand – ein Jubiläum, das es zu feiern gilt, auch wenn der Gegenstand selbst keinen Anlass zur Freude gibt. Über sieben Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist der von Nationalsozialisten begangene Raub an den Verfolgten des „Dritten Reiches“ immer noch nicht endgültig aufgearbeitet, hinreichend wird er es wohl niemals sein.
Die vom US-Außenministerium und dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington organisierte Konferenz im Dezember 1998, an der Delegationen aus 44 Staaten, Vertreter von 13 NGOs und zahlreiche Experten teilnahmen, ist jedoch ein Meilenstein. Sie gilt als Geburtsstunde eines öffentlichen Interesses am wohl größten Kunstraub der Geschichte. Ganz überraschend indes kam der Durchbruch nicht. Die Konferenz unter Schirmherrschaft der damaligen US-Außenministerin Madeleine Albright war gut vorbereitet. Die von US-Finanzstaatssekretär Stuart E. Eizenstat präparierte Beschlussvorlage, beruhend auf einer Vereinbarung der Art Dealers Association of America und der US-Association of Art Museum Directors, mündete in die elf Washingtoner Prinzipien. Ihre Verabschiedung war die erste internationale Übereinkunft nach dem Zweiten Weltkrieg, eine Zäsur im Umgang mit entwendetem jüdischen Kunstbesitz im Bestand öffentlicher Museen. Die berühmt gewordene Formulierung „fair und gerecht“ sollte fortan die Verhandlungen zwischen den Nachfahren der einst verfolgten Sammler und den Museen prägen. Der Restitution war damit der Weg geebnet.
Michael Geier über die Washingtoner Konferenz 1998
Als Leiter des Referates, das sich im Auswärtigen Amt mit Kriegsfolgen und Wiedergutmachtung beschäftigte, nahm Michael Geier 1998 an der Washingtoner Konferenz teil. Hier erzählt er von den damaligen Absichten und den erreichten Ergebnissen.
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Transkript
Herr Geier, Sie haben an der Washingtoner Konferenz 1998 als Leiter des Referates, das sich im Auswärtigen Amt mit Kriegsfolgen und Wiedergutmachtung beschäftigt, teilgenommen. Worum ging es damals?
In diesen Kontext Wiedergutmachung passten natürlich alle Themen der Washingtoner Konferenz, die ja sehr breit angelegt war. Heute hat man im Wesentlichen nur die Kunstgüter-Restitution in Erinnerung, aber es ging auch sehr stark um Erinnerung, um Bildung von Jugendlichen und andere vergleichbare Themen, zum Beispiel Nazigold, zum Beispiel Versicherungen und so.
Hat die Konferenz im Bereich der Restitution von Kulturgut die Auswirkungen gehabt, die Sie damals erwartet hätten?
Unsere Erwartungen waren natürlich weitaus geringer als das, was dann tatsächlich geschehen ist. Aber wir finden das gut, also soweit die Matadoren von damals noch leben, finden sehr, sehr gut, was da passiert ist. Denn der Grundgedanke ist, dass die Beweislast sozusagen umgekehrt wird, d.h. aus einem Pull-Faktor wurde ein Push-Faktor. Das heißt, die deutschen Museen und ähnliche Kultureinrichtungen sind heute verpflichtet, aktiv nachzuschauen, ob es da nicht irgendetwas gibt, was zweifelhafter Provenienz ist.
Also sind Sie durchaus zufrieden mit dem Ergebnis, was die Konferenz bewirkt hat?
Na, was heißt zufrieden. Ich meine, das, was nun wirklich passiert ist, nämlich Holocaust und massenhafte Vernichtung jüdischen Eigentums, das kann natürlich nicht – da kann man nicht zufrieden sein. Zufrieden kann man nur sein, dass es einen Konsens darüber gibt, dass diese Dinge nicht vergessen werden und vor allen Dingen die Menschen, die dahinterstehen, nicht vergessen werden.
Würden Sie rückblickend sagen, dieses oder jenes hätten wir in den Prinzipien anders machen sollen, da hätte ich mir jetzt, wenn ich nach 20 Jahren zurückschaue, etwas anderes gewünscht?
Also, ich glaube nicht. Erstmal sind diese Prinzipien natürlich ein amerikanisches Diktat gewesen, d.h. wir haben die nicht erfunden. Aber ich meine, sie waren jedenfalls so gestaltet, dass die deutsche Delegation dem ohne weiteres zustimmen konnte und die Notwendigkeit auch ohne weiteres eingesehen hat.
Was halten Sie für das wichtigste Ergebnis?
Wichtig ist es für mich vor allen Dingen, dass die Erinnerung an die Vergangenheit nicht mit meiner Generation aufhört, sondern dass sie in der Generation meiner drei Kinder und meiner beiden Enkel weitergetragen wird, denn das ist in der Zwischenzeit ein Erbe der Menschheit, dass wir uns an solche Dinge erinnern.
© SPK / Birgit Jöbstl
Kernstück der Konferenz war die Suche nach einem Modus für die Rückgabe gestohlener Bilder und Kunstgegenstände. Die Auseinandersetzungen um die spektakuläre Beschlagnahmung zweier Museumsleihgaben aus Österreich – zwei Gemälde von Egon Schiele – hatten dies umso dringlicher gemacht. „Wally Neuzil“, das Porträt von Schieles Geliebter, war im New Yorker Museum of Modern Art beschlagnahmt worden, nachdem die Nachfahren der einstigen Besitzer ihre Ansprüche geltend gemacht hatten. Anhand von Schieles „Wally“ wurde die Konfliktlinie sichtbar: Wem gehört die Kunst? Den ursprünglichen Eigentümern, die zwischen 1933 und 1945 durch Enteignung oder erzwungenen Verkauf beraubt worden waren? Oder den heutigen Besitzern, die sie womöglich ohne Vorwissen über die verbrecherischen Umstände erworben hatten? Bis zum Fall der Mauer hatten sich Privatsammler wie Museumskuratoren kaum ernsthaft Gedanken darüber gemacht, woher genau die Bilder, Skulpturen und Kunstobjekte stammten, die während des „Dritten Reiches“ und auch danach in ihren Bestand gelangt waren. Ein Fall von Verdrängung, der aus heutiger Sicht nur staunen lässt.
Während der NS-Diktatur hatten die Behörden durch sukzessiven Ausschluss der Juden aus allen gesellschaftlichen Bereichen sowohl innerhalb des Deutschen Reiches als auch in den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten die gesetzliche Grundlage geschaffen, um an das Eigentum ihrer Opfer zu gelangen: an Vermögen, Immobilien, Grund, aber auch Kunstbesitz und Bücher. Vielfach vollzog sich diese Enteignung schleichend. Denn die unter Druck geratenen Kunstbesitzer mussten ihre Sammlungen zumeist unter Wert verkaufen, um ihre Familien über Wasser zu halten, die Ausreise zu finanzieren oder die staatlich angeordnete „Reichsfluchtsteuer“ entrichten zu können. Der Kunsthandel profitierte von der auf diese Weise auf den Markt gelangten Ware. Ihre Herkunft wurde mal mehr, mal weniger verschleiert, was die Rekonstruktion der Verkaufswege Jahrzehnte später umso schwieriger macht.
Zitat
„Wir wollen hier nicht über Geld, wir wollen über Gewissen, Moral und Erinnerung sprechen“ Elie Wiesel, 1998
Schätzungen zufolge wurden von den Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 rund 600.000 Kunstwerke geraubt, die Hälfte davon allein in Osteuropa. Zehntausende befinden sich noch immer in öffentlichen Sammlungen oder in Privatbesitz. Durch die Washingtoner Prinzipien gab es erstmals ein internationales Regelwerk für den Umgang mit diesen „letzten Kriegsgefangenen“, wie Ronald Lauder, damals Vorsitzender der Commission for Art Recovery des World Jewish Congress, die Werke in Washington nannte.
Unberührt davon bleibt allerdings die Kunst der Moderne, jene „entartete Kunst“, die durch die Nationalsozialisten nach 1937 in den Museen beschlagnahmt und anschließend entweder vernichtet oder verkauft worden war. Hier hatte sich der Staat selbst beraubt. Die gesetzliche Grundlage dafür blieb auch nach 1945 unverändert, sodass die neuen Eigentümer nicht belangt und die Besitzverhältnisse nicht rückabgewickelt werden können.
In der Bundesrepublik waren bereits 1958 bzw. 1969 die Fristen für Restitutionen und Ausgleichszahlungen abgelaufen. Damals galt die Aufmerksamkeit vor allem der Rückerstattung von Immobilien und von Vermögen. Das Thema verebbte. In der DDR hingegen konnten nur systemkonforme Opfer ihre Ansprüche geltend machen. Ihnen bot der Mauerfall und die Übernahme eines Vermögensgesetzes der letzten DDR-Regierung 1990 in bundesdeutsches Recht die Chance zu einem neuen Anlauf. Doch erst nach Abwicklung ungeklärter Immobilien geriet zunehmend auch das Inventar der einstmals enteigneten oder unter Zwang verkauften Häuser in den Blick – und damit die Kunst.
Die Washingtoner Konferenz lieferte hier eine Grundlage, wie fortan zu verfahren sei. Die dort verabschiedeten elf Prinzipien zum Umgang mit „NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa waren jedoch kein Gesetz, vielmehr eine Selbstverpflichtung. Ihre Bedeutung gewann vor allem der achte Punkt, in dem es heißt, wenn „die Vorkriegseigentümer (…) oder ihre Erben ausfindig gemacht werden können, sollen rasch die nötigen Schritte unternommen werden, um eine gerechte und faire Lösung zu finden“. Ein Jahr später legte die Bundesregierung eine auf den Washingtoner Prinzipien basierende „Gemeinsame Erklärung“ mit den Ländern und Spitzenverbänden nach, der 2001 eine „Handreichung zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung“ folgte. Darin wurden alle Museen, Bibliotheken und Archive aufgefordert, ihre Bestände zu durchforsten und entsprechend zu restituieren.